«Ich frage nach dem wahren Weg»*

Ende der 1980er-Jahre arbeitete sich eine Gruppe junger Menschen in Arlesheim bei Basel durch Rudolf Steiners Schlüsselwerk «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft» und suchte auf dieser Grundlage nach Ansatzpunkten für konkretes Handeln. 1990 gründeten einige von ihnen eine gemeinnützige Stiftung zur Förderung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten – und benannten sie nach Edith Maryon. Die englische Bildhauerin und enge Mitarbeiterin Rudolf Steiners engagierte sich schon vor einem Jahrhundert für ein soziales Wohnbauprojekt.

Edith Maryon kam 1872 in London zur Welt. Sie wuchs mit fünf Geschwistern im Zentrum von London auf, wo sie eine Mädchenschule besuchte. Später schickten Schneidermeister John Simeon Maryon und seine Frau Louisa Church ihre Tochter ins Internat nach Genf. Nach ihrer Rückkehr studierte Edith am Royal College of Arts Bildhauerei. Bekannt wurde sie mit klassisch inspirierten Porträts und Reliefs in einem traditionalistischen Stil.

Von London über Deutschland nach Dornach

1913 zog Edith Maryon zuerst nach München, dann nach Berlin, ein Jahr später nach Dornach. Sie gehörte mit Marie von Sivers und Ita Wegman zum innersten Kreis um Rudolf Steiner. Mit dem Begründer der Anthroposophie pflegte sie über Jahre einen intensiven Briefwechsel, der erhalten ist. Gemeinsam entwarfen sie die Grossplastik «Der Menschheitsrepräsentant» und die Eurythmiefiguren-Skulpturen, die Maryon auch in Holz ausführte. Ihre Arbeiten waren jetzt nicht mehr klassisch, sondern von Rudolf Steiners Gedankengut inspiriert.

Anfang der 1920er-Jahre mangelte es in Dornach an günstigem Wohnraum. Deshalb entwarf Edith Maryon drei Häuser für die Mitarbeitenden des Goetheanums am Dornacher Hügel. Damals wurden sie Engländerhäuser genannt, heute sind sie als Eurythmiehäuser bekannt.

1923 erkrankte Edith Maryon an Tuberkulose. Ende Jahr wurde sie noch zur Leiterin der Sektion für Bildende Künste am Goetheanum berufen, konnte ihr Amt aber nie antreten. Am 2. Mai 1924 starb sie im Alter von 52 Jahren in ihrem geliebten Dornach.

Die Stiftung führt Edith Maryons Werk weiter

1990 gründeten Christoph Langscheid, John Ermel und Michael Riggenbach mit 12’000 Franken Startkapital die Stiftung im Gedenken an Edith Maryon und ihr Engagement für den sozialen Wohnungsbau. Die Non-Profit-Organisation entzieht Grund, Boden und Liegenschaften der Spekulation, stellt günstigen Wohn- oder Gewerberaum sicher und unterstützt soziale und kulturelle Projekte.

 

* Unter diesem Motto wurde Edith Maryon 1909 in den Orden Stella Matutina aufgenommen. Das Motto sollte ihr Leben und ihre Arbeit prägen.